Deutliche Ausweitung der Notbetreuung – Normalität versus Risiko!

Wir betreten Neuland! Die Suche nach bestmöglichen Lösungen!
Das was die Politik aktuell händeln muss, ist in der Tat alles andere als einfach. Sie kann auf keine erprobten Konzepte und valide Erfahrungen zurückgreifen. Das Spannungsverhältnis bzw. der Widerspruch zwischen ersten Schritten in Richtung Normalität (Geschäfte öffnen, mehr Menschen wieder in Arbeit, Wiedereinstieg in den Schulbetrieb, Notbetreuung in den Kitas ausweiten etc.) und der Vermeidung einer Erhöhung der Ansteckungsgefahren ist nicht auflösbar. Ein zusätzliches Problem ist es, dass die Wirkung einzelner Maßnahmen - egal ob negativ oder positiv - immer erst nach 10 bis 14 Tagen erkennbar ist, wenn die Zahl der Infizierten sinkt, gleich bleibt oder steigt. Insofern gilt es in der Tat sehr kleinschrittig vorzugehen, mögliche Risiken sorgfältig in den Blick zu nehmen und die Umsetzung von Maßnahmen sorgfältig zu planen und zu begleiten. Das ist leichter gesagt als getan.

Auch, gerade den Kitas kommt in dieser Gemengelage von gegensätzlichen Interessen und wechselseitigen Abhängigkeiten eine Schlüsselfunktion beim `Auspendeln´ von Normalisierungsschritten und Risikovermeidung bzw. -verschärfung zu. 3,7 Mio. Kinder haben in Deutschland einen Kita-Platz. In den letzten Wochen wurden im Rahmen der Notbetreuung davon weniger als fünf Prozent in Anspruch genommen. Und das aus guten Gründen: „Denn auch wenn im Rahmen von Hygienemaßnahmen, beim Personaleinsatz und auch bei der konkreten Organisation und der pädagogischen Arbeit Maßnahmen zur Reduzierung von Risiken getroffen werden können, lässt sich das Distanzgebot in der Arbeit mit Kindern im Alter bis zur Einschulung nicht umsetzen.“ So steht es in der 15. Fachempfehlung (21.4.2020) des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW (MKFFI). Das heißt eine Ausweitung der Betreuung und die damit unvermeidbare Zunahme der Kontakte von Kindern untereinander, aber auch zwischen Kindern und Fachkräften werden grundsätzlich das Risiko von wechselseitigen Ansteckungen erhöhen. Wir wissen allerdings nicht in welchem Umfang. Es werden aber bewusst die Risiken eingegangen, die durch neue Kontaktnetze entstehen: „Wenn neue Gruppen gebildet werden, z. B. weil bisher gar keine Kinder in der Einrichtung betreut wurden, oder die bestehenden Betreuungsgruppen auch aus pädagogischen Gründen für eine Aufnahme der neuen Kinder nicht geeignet sind, können Kinder, die nun erstmals betreut werden, auch gemeinsam betreut werden. Zwar entstehen bei der Umsetzung dieser Maßnahmen neue Kontaktnetze, da diese Kinder in den vergangenen Wochen keinen Kontakt miteinander und auch nicht mit den pädagogischen Kräften hatten. Es wird aber nicht möglich sein, eine stufenweise Ausweitung unter der Prämisse der Vermeidung der Schaffung neuer Kontaktnetze zu vollziehen. Aus Infektionsschutzsicht wird dies auch als vertretbar bewertet.“ (Seite 12f.) Was mit „vertretbar“ gemeint ist, wird nicht präzisiert. Wenn die „Schaffung neuer Kontaktnetze“ nicht „vertretbar“ wäre, könnte die Betreuung nicht schrittweise ausgebaut werden.

Betreuungsseting
Um die Ansteckungsrisiken zu minimieren sollen die Kinder weiterhin konkreten Betreuungssettings zugeordnet werden. Damit ist Folgendes gemeint: „Mit diesem Grundkonstrukt können steigende Betreuungsbedarfe flexibel und transparent gehandhabt werden. Dies bedeutet, dass je nach Betreuungsbedarf Betreuungssettings geschaffen werden. Dabei gilt das Prinzip: Ein Betreuungssetting besteht aus fest zugeordneten und genutzten Räumlichkeiten, einer festen Gruppenstruktur (immer dieselben Kinder) und einem soweit wie möglich kontinuierlichen Personalstamm. Es sollte darauf geachtet werden, dass die verschiedenen Betreuungssettings, soweit möglich, keinen unmittelbaren Kontakt zueinander haben. Das bedeutet auch, dass sich Kinder verschiedener Betreuungssettings nicht gegenseitig besuchen sollen. Wenn gruppenübergreifende Raumkapazitäten bestehen, sollten diese bei der Planung der Betreuungssettings berücksichtigt und von diesen genutzt werden. Um Kontakte zu vermeiden, können diese Räumlichkeiten beispielsweise abwechselnd von den Betreuungssettings genutzt oder einem Setting fest zugeordnet werden. Es sollten nicht mehr Betreuungssettings geschaffen werden, als es regelhaft Gruppen in der Einrichtung gibt.“ (Seite 12) Die  Angleichung der Betreuungssettings an die Anzahl der Gruppen in einer Kita ist  die Voraussetzung für den irgendwann wieder aufzunehmenden Normalbetrieb.

Kitas als Teil ein gesamtgesellschaftlichen Experiments
Mit diesen prekären, risikobehafteten Aussichten geht es in die nächsten Wochen, für die weder die da oben noch die an der Basis Rezepte in den Schubladen liegen haben. Das muss man sich bewusst machen. Es geht nun darum, Lernprozesse zu organisieren zur Entwicklung bestmöglicher Lösungen vor Ort. Politik und Verwaltung (u.a. Ministerien) haben mit Ihren Empfehlungen und Anordnungen immer nur einen vorläufigen Rahmen gesetzt, der für alle Kitas und ihre Träger gilt und dann vor Ort umgesetzt werden muss. Die eher allgemeinen Vorgaben von oben treffen auf ein breites und vielfältiges Spektrum konkreter und unterschiedlicher Situationen und Bedingungen, die bei der Ausweitung der Betreuung berücksichtigt werden können und müssen. Hierzu einige Anhaltspunkte:
– Es gibt Kitas, die in den letzten Wochen, keine Kinder betreut haben, weil in der Elternschaft keine Ansprüche auf Notbetreuung bestanden. Dem stehen aber Kitas – wie z.B. einige Elterninitiativen in Münster – gegenüber, bei denen bis zu 80 Prozent der Kita-Plätze im Rahmen der Notbetreuung in Anspruch genommen werden. Die einen starten bei Null, die anderen sind schon fast im Normalbetrieb. Die meisten liegen irgendwo dazwischen… Das heißt die Ausgangssituation und die Vorerfahrungen sind alles andere als einheitlich…
– Die altersbezogene Zusammensetzung der Teams ist sehr unterschiedlich. So gehört in manchen Einrichtungen kein Teammitglied zu den Risikogruppen, in anderen Einrichtungen sind dies im Extremfall mehr als die Hälfte der Mitarbeiter*innen. Ist es nicht erforderlich, hier kitaübergreifenden Personaleinsatz zu organisieren, auch wenn die Vorgaben des Betreuungssettings dies eigentlich nicht zu lassen? Es müssen doch in jeder Kita sowohl die Anforderungen an die Aufsichtspflicht und die Minimalvorgaben für das Verhältnis von Erwachsenen und Kindern eingehalten werden? Ist es mit Blick auf die geplante Ausweitung der Betreuung und den großen Anteil von Mitarbeiter*innen, die zu den Risikogruppen gehören, nicht dringend erforderlich zusätzliche Betreuungskräfte (Studierende, Eltern, Kurzarbeitende etc.) zu mobilisieren? In Frage kommende Personen könnten auf zeitnah Corona getestet werden! Etc.
– Die räumlichen Voraussetzungen, das Außengelände und auch das Umfeld der Kitas sind sehr unterschiedlich. Alle drei können die hygieneorientierte Umsetzung der Betreuungssettings vereinfachen, aber auch deutlich erschweren. Gibt es einen Bewegungsraum, möglicherweise ein Restaurant? Wie breit sind die Flure? Kann man vom Gruppenraum direkt ins Außengelände? Wie groß ist das Außengelände? Lassen sich die verschiedenen Bereiche einfach trennen? Können wir rausgehen, ohne direkt in Kontakt mit vielen anderen Menschen zu kommen? Etc.
– Die Größe der Kitas ist ein weiteres wichtiges Merkmal: die Kontaktrisiken steigen mit der Größe der Kita. Auch lässt sich in einer eingruppigen Einrichtung mit einem kleinen Team wesentlich mehr informell und im direkten Kontakt planen, klären und umsetzen. In einer beispielsweise sechsgruppigen Einrichtungen mit über 100 Kindern und einem Team von 25 Fachkräften ist der organisatorische Aufwand und die Notwendigkeit der Formalisierung (= Verschriftlichung) wesentlich größer. Auch die technische Ausstattung und die digitale Kompetenz spielen eine wichtige Rolle für die Umsetzung und Gestaltung  von Aktionen und Maßnahmen in den nächsten Wochen.

Das heißt, das die gleiche Vorgabe oder Maßnahme von oben vor Ort auf  sehr unterschiedliche Bedingungen treffen, so dass sich in den Kitas unterschiedliche Wege und Formen der Umsetzung ergeben. Diese Spielräume sind wichtig und sollten vor Ort auch genutzt werden – mindestens aus zwei Gründen. Es geht einmal darum, den für die eigene Kita besten, passendsten Weg mit geringsten Risiken zu finden. Und zum anderen geht es um die gemeinsame Suche nach guten Lösungen. Da bei der schrittweisen Ausweitung der Betreuung in den nächsten Wochen vielfach Neuland betreten wird, wird es zwangsläufig so sein, dass man in vielen Fällen auf Anhieb nicht die perfekte Lösung findet. Auch werden verschiedene Kitas unterschiedliche Wege ausprobieren, um das gleiche Ziel zu erreichen usw. Hierüber gilt es in den Austausch zu kommen, voneinander zu lernen und vielfältige, an der einzelnen Kita ausgerichtete bestmögliche Lösungen zu entwickeln.

Wie vorgehen? – Einige Schlussfolgerungen und Vorschläge:
Diejenigen, die vor Ort, als Leitung und auch als Träger, die Arbeit in der Kita verantworten, sind in einer Schlüsselfunktion beim `Auspendeln´ von Normalisierungsschritten und Risikovermeidung bzw. -verschärfung. Machen Sie sich das bewusst. Auch dass Sie in der Regie sind, was in der einzelnen Kita geht und was nicht. Es ist ihr Job und ihre Verantwortung, wie Sie die Empfehlungen und Anordnungen von oben praktisch werden lassen. Dazu einige Hinweise:
– Gehen Sie kleinschrittig vor und setzen, soweit sich das vermeiden lässt, nicht mehrere Veränderungen (zwei neue Betreuungssettings gleichzeitig, Wechsel von Mitarbeiter*innen etc.) gleichzeitig um. So bleibt die Wirkung einzelner Maßnahmen besser kontrollierbar.
– Nehmen Sie möglichst nur alle zwei Wochen Veränderungen vor, da es 10 bis 14 Tage dauert von der Ansteckung mit dem Coronavirus bis zum Ausbruch der Krankheit. Der zwei-Wochen-Rhythmus vereinfacht die Rückverfolgung von Risiken, entspricht auch dem Rhythmus in dem Politik und Verwaltung neue Entscheidungen trifft und ist auch nach außen (z.B. zu den Eltern) gut kommunizierbar.
– Verlieren Sie bei einer Ausweitung der Betreuung nicht die Kinder aus den Augen, die weiterhin zuhause bleiben müssen. Geben Sie ihnen das Gefühl, dass Sie weiterhin dazu gehören. Stellen Sie Kontakt und Kommunikation zwischen Kindern in der Kita und Kindern zuhause her.
– Suchen Sie den kontinuierlichen Kontakt und die Kommunikation in die Elternschaft, um deren Erwartungen, Sorgen und Ängste nachzuvollziehen und zu verstehen, aber auch, um Ihr Vorgehen zu vermitteln und zu begründen.
– Suchen Sie den Austausch. Informieren Sie sich darüber, wie andere Kitas mit der aktuellen Situation umgehen, welche Maßnahmen und Konzepte diese entwickeln und umsetzen. Lernen Sie von anderen und bringen Sie Ihre eigenen Ideen und Vorschläge ein.
– Überlegen Sie, woher und wie Sie bei Bedarf personelle Unterstützung und Verstärkung bekommen können. Das kann die Unterstützung bei der Nutzung digitaler Medien sein, aber perspektivisch bei der Ausweitung der Betreuung und möglicherweise Personalengpässen in Ihrer Einrichtung die Gewinnung von zusätzlichen Kräften (siehe oben). Das müssen Sie jetzt angehen, um in vier oder sechs Wochen dann die Chance zu haben, die auch einsetzen zu können. Stimmen Sie das mit Ihrem Träger ab. Oder noch besser: Ihr Träger wird hier kita-übergreifend tätig.

Die da oben, sprich Verwaltung und Ministerien, sind gut beraten, ihre Augen und Ohren an der Basis zu haben, von denen da unten zu lernen, nachzuvollziehen, was gut läuft, was Schwierigkeiten macht, wo Mittel fehlen, welche Unterstützungsbedarf entsteht usw. Dazu würde bespielsweise auch gehören, ein Best Practice-Portal einzurichten für den regionalen und überregionalen Austausch, die Klärung von Fragen und die gegenseitige Unterstützung. Die Erkenntnisse und Erwartungen sollten systematisch in die zweiwöchigen Updates der Politik zum weiteren Umgang mit der Coroankrise einfließen. Also nicht nur top down, auch bottom up und verbindliche Kommunikation und Kooperation zwischen oben und unten!

Die zitierten Handlungsempfehlungen gelten für Nordrhein-Westfalen. Diese kann man nicht 1:1 auf die anderen Bundesländer übertragen,.Insgesamt gehen alle Bundesländer aber in die gleiche Richtung, im Detail gibt es aber Unterschiede. Hierauf wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, kann aber jederzeit, bei entsprechenden Hinweisen, in diesem Blog ergänzt bzw.nachgeholt werden. Zu den Handlunsempfehlungen in NRW vom m 21.4. gibt es noch einige Anlagen: Rahmenhygienplan, Reinigungs- und Desinfektionsplan, Organisatorische und  pädagogische Anregungen sowie eine Übersicht über die aktuell geltenden kritischen Berufe.