Können wir uns das leisten? Die Krise im Elementarbereich verschärft sich!
Laut Studie (der Bertelsmann-Stiftung) fehlen 2023 in NRW rund 102.000 Kitaplätze, womit im bevölkerungsreichsten Bundesland der deutschlandweit größte Mangel herrsche. Bundesweit fehlen in Deutschland rund 384.000 Plätze. Um die Nachfrage nach Kitaplätzen zu decken, müssten in NRW zusätzlich 24.000 Fachkräfte eingestellt werden, sagen die Autoren des `Ländermonitors Frühkindliche Bildung´. Die zusätzlichen Personalkosten beliefen sich auf rund 1,1 Milliarden Euro jährlich. (WAZ 21.10.2022)
Symbolpolitik: schöne Worte
„Unseren Kindern und Jugendlichen gehört die Zukunft. Daher werde ich mich dafür einsetzen, dass sie unter bestmöglichen Bedingungen aufwachsen. Hierbei nimmt die frühkindliche Bildung eine zentrale Rolle ein. Alle Akteure in der Kindertagesbetreuung leisten seit über zwei Jahren Außergewöhnliches, um frühkindliche Bildung auch in Pandemiezeiten bestmöglich zu gewährleisten. Dafür bedanke ich mich persönlich und ausdrücklich!“ – so Josefine Paul, die aktuelle NRW-Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration am 29.7.2022 in einem Brief an Eltern und Familien, Beschäftige in Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflegepersonen usw. (siehe Blog vom 20.8.2022)
Was geht hier gerade ab?
Die Krisen in unserem Land, in der Welt nehmen zu, verschärfen sich: Klimakrise, Corona, Krieg in der Ukraine, Inflation, durch die Decke gehende Energiepreise… Das betrifft auch uns in Deutschland, einem der reichsten Länder auf diesem Planeten, aber die Menschen in der Ukraine durch den russischen Angriff oder in Pakistan durch die aktuelle klimabedingte Überflutung eines Drittels des Landes deutlich mehr – in lebensbedrohlicher Weise. Und: Die Politik muss/müsste damit umgehen, scheint überfordert, uneins, zu langsam… Wer möchte in der aktuellen Situation mit Bundeskanzler Scholz, Außenministerin Baerbock, Wirtschafts- und Klimaminister Habeck tauschen? Ist es in einer solch dramatisch sich zuspitzenden Situation noch angemessen, nachvollziehbar, legitim Verbesserungen in der, mehr Geld für die Elementarbildung einzufordern?
Es geht um unsere Zukunft bzw. um die der Heranwachsenden!
Ich finde „Ja“! Wir brauchen kompetente, gut ausgebildete und motivierte Heranwachsende, um unser Land für die Zukunft erfolgreich aufzustellen und zur Lösung der globalen Krisen unseren Beitrag zu leisten. Der Elementarbereich ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Mosaikstein; er schafft eine wichtige Grundlage für die Lösung gesellschaftlicher Probleme: neugierige, engagierte, experimentierfreudige und selbstbewusste Kinder. Deswegen brauchen diese Kinder die „bestmöglichen Bedingungen“ (siehe oben Josefine Paul).
Kinder haben keine Lobby!
Seit mehr als 15 Jahren sind die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung unstrittig, dass wir deutlich bessere Personalschlüssel in den Kitas benötigen (siehe Blog vom 3.6.2018). Getan hat sich nicht viel! Und aktuell schieben die aktuell sich zuspitzenden Krisen den Elementarbereich weiter an den Rand:
1. Nachrangigkeit im NRW Landeshaushalt
„NRW Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) hatte davor gewarnt, dass der finanzielle Spielraum des Landes im kommenden Haushaltsjahr `gering bis null´ werde. Schwarz-grüne Vorzeigeprojekte wie ein Altschuldenfonds für klamme Kommunen, ein weiteres beitragsfreies Kita-Jahr oder die versprochene kostenlose Kita-Verpflegung ständen damit ebenso wie Infrastrukturvorhaben auf der Kippe.“ (WAZ 19.09.2022)
2. Ende der Sprach-Kitas?
„Ende des Jahres läuft das Bundesprogramm Sprach-Kitas aus. Auch für 35 Bochumer Sprach-Kitas bedeutet dies, dass die Gelder wegfallen würden.“ (WAZ 8.9.2022)„
Der Vorsitzende des Städtetages NRW, Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), sagte dieser Redaktion: `Es ist eine klare Fehlentscheidung der Bundesregierung, hier die Gelder zu streichen. Allein in NRW müssen nun 1500 Fachkräfte um ihren Arbeitsplatz bangen oder sich nun umorientieren.“ (WAZ 20.8.2022)
„Der integrative Kindergarten `Tausendfüßler´ in Thüringen ist eine von 6.900 Sprach-Kitas in Deutschland. Seit 2016 fördert der Bund damit die sprachliche Bildung im frühkindlichen Bereich, vor allem Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch sollten profitieren. In jeder achten Einrichtung in Deutschland arbeiten Pädagoginnen, Logopäden und andere Fachkräfte, die aus dem Programm bezahlt werden, rund 7500 sind es insgesamt… Doch damit soll bald Schluss sein: Das Förderprogramm endet mit dem Jahr 2022. Und die Ampelkoalition hat keine Pläne, dies zu verlängern. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP noch festgehalten, das Programm `weiterzuentwickeln und verstetigen´ zu wollen.… Das Familienministerium weist darauf hin, dass das Programm von Anfang an als befristet angelegt gewesen sei. Sprachliche Bildung wolle man allerdings trotzdem weiter fördern, das Thema soll zu einem `prioritären Handlungsfeld´ werden in der geplanten Weiterentwicklung des Gute-Kita-Gesetzes. Das Gesetz aus dem Jahr 2019 hatte den Ländern insgesamt 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die sie wahlweise in den Ausbau der pädagogischen Qualität, eine Abschaffung der Kita-Gebühren oder beides investieren können.“ (WAZ 19.08.2022)
3. Fachkräftemangel spitzt sich zu!
„Laut dem `Fachkräftemonitor Frühkindliche Bildung´ der Bertelsmann-Stiftung von 2021 fehlen in NRW bis zum Jahr 2030 mehr als 67.000 Kita-Fachkräfte in NRW. Das `Fachkräftebarometer Frühe Bildung´ des Deutschen Jugendinstitutes von 2021 sagt bis zum Jahr 2030 einen Bedarf von mindestens 250.000 Personen in der Kinderbetreuung in Westdeutschland voraus.“ Dazu „sagte Stephan Jentgens, Diözesan-Caritasdirektor im Bistum Aachen und Arbeitsausschuss-Vorsitzender bei der Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW, dieser Redaktion. `Manche mögen sich schnelle Lösungen wünschen. Wichtig ist aber, dass wir einen nachhaltigen Weg aus der Fachkräfte-Mangelsituation finden, und das geht nicht von jetzt auf gleich.´… Künftig werde es in der Kindertagesbetreuung zunehmend Teams mit unterschiedlicher Qualifikation geben – bunte Teams aus Hochqualifizierten und zunächst Geringqualifizierten, die die Chance bekommen müssten, sich weiterzubilden. Ministerin Paul hatte in der letzten Woche zwar erklärt, dass die von Schwarz-Grün geplante `Fachkräfteoffensive für frühkindliche Bildung´ hohe Priorität habe. Sie ließ aber offen, was konkret geplant ist und sprach von einem `Marathon´. Eine Säule der Personalgewinnung – das Kita-Alltagshelferprogramm in NRW – soll möglichst verstetigt werden, so Paul.“ (WAZ 20.09.2022)
Was tun? – Ausblick
Dass es sich um einen „Marathon“ (siehe oben Josefine Paul) insgesamt mit Blick auf den ganzen Elementarbereich handelt, dem kann man zustimmen. Aber man muss nicht irgendwann ins Ziel kommen, um mit Blick auf die sich zuspitzenden Probleme im Elementarbereich: nicht ausreichende Plätze, Fachkräftemangel, unzureichende Personalschlüssel, Zunahme der Kinder mit Migrationshintergrund und von Kinderarmut (die letzten beiden Punkte verschärft im Ruhrgebiet) für Lösungen zu sorgen. Um im Bild zu bleiben: Wir müssen den Marathon in Weltrekordzeit (zumindest Top 10) beenden! Nach einem schnellen Lauf sieht es aber leider nicht aus. Warum gibt es kein Sondervermögen für die Bildung? Für die Bundeswehr konnte das von heute auf morgen mobilisiert werden. Die Steuereinnahmen steigen, eine Vermögenssteuer auf den Weg bringen (seit 1997 nicht mehr erhoben!), die zunehmende Schere zwischen arm und reich zurückbauen… Auf geht`s!