Lockdown wird wohl verlängert – einige Diskussionspunkte und Überlegungen
Da lag der Wert bei 23.462 (Übersicht tägliche Infektionszahlen). Aber der Inzidenzwert pro 100t Einwohner*innen liegt mit knapp 140 nach wie vor sehr deutlich über dem mit dem Lockdown angestrebten Wert von 50. Insofern verdichten sich in den Medien in den letzten Tagen die Hinweise, dass der Lockdown bis Weihnachten (20.12.) fortgeführt wird. Am kommenden Mittwoch (25.11.2020) setzen sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsident*innen wieder zusammen und werden sich über die Details verständigen. Hierzu im Folgenden einige Diskussionspunkte und Überlegungen aus der aktuellen öffentlichen Debatte:
Kitas und Schulen
Viel spricht dafür, dass Kitas und Schulen bis auf weiteres geöffnet bleiben, die bisherige Form des verbindlichen Präsenzunterrichts für alle Jahrgangsklassen aber differenziert wird. Kinder im Kita- und Grundschulalter sind für ihre Entwicklung und ihre Lernerfolge mehr auf direkte Kontakte und Kommunikation mit anderen Kindern und Fachkräften angewiesen als ältere Kinder auf den weiterführenden Schulen. Gleichzeitig gehen Virologen, so z.B. Alexander Kekulé, davon aus, “dass Kinder unter zehn Jahren aufgrund immunbiologischer Besonderheiten weniger ansteckend sind” (Welt am Sonntag, 22.11.2020, Gastbeitrag A. Kekulé). Deswegen spricht einiges dafür, die Kitas weiter geöffnet zu halten und in den Grundschulen den umfassenden Präsenzunterricht fortzusetzen. Schüler*innen in den weiterführenden Schulen (ab Klasse 5) “sind wichtige Treiber der Pandemie, obwohl sie selber nur leicht oder gar nicht erkranken” (ebd.). Deswegen bietet es sich über die Maskenpflicht im Unterricht hinaus an, die Klassen – bei einem lokalen Inzidenzwert von über 50 – zu teilen, Wechselunterricht umzusetzen sowie da, wo es technisch möglich ist, auf Hybridunterricht umzustellen (siehe Blog vom 14.11.2020). Da, wo Räumlichkeiten knapp sind, kann möglicherweise auf aktuell nicht genutzte Räume in der Gastronomie und in den Hotels sowie in Kulturzentren und Gemeindehäusern zurückgegriffen werden (Bundeswirtschaftsminister Altmaier nach Westdeutsche Allgemeine Zeitung [WAZ] 16.11.2020, Seite 1). Schulen sollten ermutigt und unterstützt werden, mit Blick auf die lokalen Gegebenheiten kluge, kreative und flexible Unterrichtskonzepte zu entwickeln und umzusetzen.
Vulnerable Gruppen
Bei einer Vielzahl der älteren Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sind der Krankheitsverlauf und die Sterberate nach einer Corona-Infektion wesentlich bedrohlicher als bei jüngeren Menschen. Deswegen bietet es sich an für diese “zielgruppenspezifische Präventionskonzepte” (Matthias Schrappe, Mediziner und Gesundheitsökonom im Interview mit der WELT 20.11.2020, Seite 6) zu entwickeln und umzusetzen. Hierzu könnten beispielsweise gehören: Taxitickets zum ÖPNV-Preis, Einkaufszeiten nur für diese Zielgruppen, Einkaufsdienste durch Studierende, FFP2-Masken kostenlos, Schnelltests für Angehörige usw.). So werden Risikogruppen effektiver geschützt (und nicht isoliert), besser unterstützt und einschränkende Maßnahmen passgenauer ausgerichtet.
Akzeptanz, Evaluation, Synergien
– Einschränkende Maßnahmen, Hygiene- und Dokumentationsvorschriften müssen plausibel sein und gut erläutert werden. Das ist bei vielen Menschen die Voraussetzung für deren Akzeptanz, ohne die deren Umsetzung nicht auf breiter Ebene und über längere Zeiträume gewährleistet ist. So ist es beispielweise schwer nachvollziehbar, wie Kinder, die sich werktäglich mehrere Stunden im Präsenzunterricht mit 30 anderen Kindern befinden, zuhause sich nur noch mit einem anderen Kind treffen dürfen (sollen). Auch der aktuell vollständige Lockdown für die Gastronomie, die Kultur sowie den Sport ist mit Blick auf in den letzten Monaten erprobte Hygienekonzepte nicht plausibel. Manchmal ist es hilfreich die Perspektive von: Das ist verboten! zu: So wäre es möglich! zu wechseln.
– Vorschriften und Maßnahmen, die umgesetzt werden, sollten (kontinuierlich) hinsichtlich ihrer Wirkung evaluiert und bei Bedarf zeitnah angepasst und weiterentwickelt werden. Werden die Infektionsrisiken reduziert? In welchem Umfang? Welche Nebenwirkungen und/oder unvorgesehenen (negativen/positiven) Folgen gibt es? Dabei sollten immer alle beteiligten Akteure eingebunden werden. Dies wären beispielsweise in einer Kita die Kinder, die Eltern, die Fachkräfte, die Alltagshelfer*innen, Hauswirtschaftskräfte, Praktikant*innen die Leitung, der Träger sowie die Kooperationspartner. Maßnahmen in einer Kita sind z.B. die Gruppentrennung, die Übergabe der Kinder an der Tür, die von den Kindern umgesetzen Hygienemaßnahmen, eingeschränkte Öffnungszeiten etc.
– Aktuell verlieren wieder viele Studierende ihre Minijobs in der Gastronomie, in Fitnesstudios, Kinos und im Kulturbereich. Die WELT titelt: “900.000 junge Menschen in ihrer Existenz bedroht“ (18.11.2020). Diese brauchen wir als Alltagshelfer*innen in Kitas, für die Einkaufsdienste vulnerabler Gruppen (siehe oben); Lehramtstudierende können die Lehrkräfte unterstützen, besonders wenn Klassen geteilt werden. Aktuell geschlossene Restaurants und Hotels können Raumengpässe in Schulen abfedern und gleichzeitig Einnahmen erzielen (siehe oben Vorschlag Bundeswirtschaftsminister Altmaier). Nicht ausgelastete Reise- bzw. Busunternehmen können Busse zur Verfügung stellen zur Beförderung von Schüler*innen in die Schule bei zeitlich gestaffeltem Unterricht (zur Vermeidung überfüllter Busse und Straßenbahnen – siehe WELT 18.11.2020, Seite 4). Taxifahrer*innen transportieren Risikogruppen und können so einen Teil der wegfallenden Buchungen kompensieren. Usw. Bei all diesen Beispielen handelt es sich um win-win-Konstellationen.