Partizipation praktisch: Erfahrungsbericht aus der Kita am Wald e.V.
Dass Kindern das Recht zusteht, über Dinge, die sie angehen, (mit) zu bestimmen, ist (wie ich finde, beschämenderweise) erst seit relativ kurzer Zeit in den pädagogischen Fokus genommen worden. Bei unseren pim®-Qualitätsentwicklungsprozessen ist der Punkt Partizipation ein Aspekt, der in den Kita-Teams immer sehr ausführlich diskutiert wird: Wo haben wir als Pädagog/innen unsere eigenen Grenzen? Wo besteht Diskussionsbedarf mit den Eltern?... Bei der Erarbeitung der Qualitätsstandards unterscheiden wir zwischen Selbst- (ich bestimme über mich) und Mitbestimmungsrechten (wir bestimmen mit) der Kinder.
Das Team der Castrop-Rauxeler Kita am Wald e.V. hat sich im Rahmen der Konzeptions- und Qualitätsentwicklung intensiv mit Fragen der Partizipation auseinandergesetzt. Das hat an vielen Stellen zu neuen Umgangsformen und Regeln in der Praxis geführt. Das Team hat uns netterweise in einem Bericht eine Momentaufnahme aufgeschrieben, welche Erfahrungen sie bisher mit der Partizipation der Kinder in der Praxis gemacht haben. Bestimmt können andere Einrichtungen davon profitieren!
Team der Kita am Wald e.V.:
In einigen Bereichen war es recht einfach, die Mit- und Selbstbestimmungsrechte der Kinder umzusetzen, in anderen etwas schwieriger. Da es unser Vorhaben war, die Umsetzung der Selbstbestimmungsrechte „schleichend“ einzusetzen, um die Kinder nicht mit scheinbar fehlenden Strukturen zu überfordern, ist die Einführung ein Prozess, der nach wie vor anhält.
Materialauswahl
Obwohl es noch nicht den geplanten Materialkatalog gab, haben die Erzieherinnen bereits nach Möglichkeiten gesucht, wie die Kinder Spiele für den Gruppenalltag selbst aussuchen können. Zunächst schienen uns die Kinder von dem Materialangebot überfordert zu sein, konnten aber dann doch immer eine Entscheidung für ein oder mehrere bevorzugte Spiele oder Bücher treffen. Erstaunlich war dabei, dass die ausgewählten Bücher oft gar nichts mit in den Gruppen aktuellen Themenbereichen zu tun hatten, wie z.B. „Baustelle“, „Einkaufen“ o.ä. Ebenfalls überraschend war, dass die Kinder jeweils nur wenige Spiele oder Bücher aussuchten und gar nicht das Bedürfnis zu haben schienen, Material im Überfluss zu haben.
Spiel-Regeln
Den Spielort suchen sich die Kinder im Alltag in der Regel selbst aus. Nachdem wir mit ihnen ihr Recht auf Selbstbestimmung besprochen hatten, gab es bald eine Situation, über die die Kinder diskutieren wollten, um eine Lösung zu suchen: Es war einigen Kindern im Bewegungsraum zu laut und zu wild. Sie fühlten sich in ihrem Spiel durch eine andere Spielgruppe gestört, und trotz mehrerer Diskussionen verbesserte sich die Situation nicht. Die betroffenen Kinder suchten Hilfe bei einer Erzieherin, die sie dabei unterstützte, das Problem vor den anderen Kindern noch einmal darzulegen und zu erörtern. Gemeinsam überlegten die Kinder, den Bewegungsraum für unbestimmte Zeit zu schließen. Nach zwei Tagen merkten die Kinder, dass ihnen der zusätzliche Raum fehlte und versammelten sich erneut zu einem gemeinsamen Gespräch. Mit Unterstützung der Erzieherinnen arbeiteten die Kinder Regeln für die Benutzung des Bewegungsraumes aus (nur noch fünf Kinder gleichzeitig im Bewegungsraum, angemessene Lautstärke etc.). Die Kinder haben es in diesem Zusammenhang also geschafft, Gespräche über ein Problem zu führen, sie haben eine Fehlentscheidung bemerkt, gemeinsam Verantwortung dafür übernommen und Regeln für die gemeinsame Benutzung des Raumes erarbeitet, die auch noch mehrere Wochen danach beachtet werden.
Mittagessen
Die Regeln für das Mittagessen waren in den Gruppen bislang sehr unterschiedlich. Während die Kinder in der einen Gruppe von den Speisen probieren sollten, gab es diese Regel in den anderen Gruppen nicht. In einer Gruppe wurden die Kinder angehalten, ihre Teller nur wenig zu füllen und die Teller weitestgehend leer zu essen. So wurde dort fast kein Essen weggeworfen, in den anderen Gruppen, in denen es diese Regeln nicht gab, hingegen sehr viel. Immer wieder kam es dadurch im Team zu Unstimmigkeiten. Auf der einen Seite fand man die Regeln der erstgenannten Gruppe zu streng, auf der anderen Seite wünschte man sich mehr Wertschätzung für die Lebensmittel in den anderen Gruppen. Gemeinsam wurde beschlossen, dass die Kinder künftig so viel (bzw. so wenig) essen dürfen, wie sie wollen. Gleichzeitig gibt es nicht mehr den Zwang, von den angebotenen Speisen zu probieren. Stattdessen haben wir nun einen „Räuberteller“: das ist ein Teller mit Probierportionen der zum Mittagessen angebotenen Speisen. Die Kinder entscheiden selbst, ob und was sie probieren wollen.
Mittagsschlaf
Das regelhafte mittägliche Schlafenlegen wurde mit dem gemeinsamen Arbeiten an der Konzeption und unserer Auseinandersetzung mit Selbstbestimmungsrechten der Kinder abgeschafft. Es darf schlafen, wer müde ist und wer nicht müde ist, muss sich nicht hinlegen: So die neue Regel. Es stellte sich jedoch als nicht einfach heraus, die Eltern von diesem Punkt in der Konzeption zu überzeugen. Während einige Eltern nach wie vor der Umgehensweise in der Einrichtung vetrauen, gibt es auch andere, die den privaten Tagesablauf im Familienleben gestört sehen, wenn das Kind mittags schläft (die Befürchtung ist, dass es dann vielleicht abends nicht schlafen kann), andere wiederum legen Wert darauf, dass ihr Kind mittags schläft (die Befürchtung ist, dass es sonst vielleicht nachmittags schlecht gelaunt sein könnte). So gibt es diesbezüglich auf jeden Fall noch Diskussions- und Klärungsbedarf. Die Kinder unter drei Jahren werden von den Erzieherinnen nach Rücksprache mit den Eltern gefragt, ob sie mit in den Schlafraum gehen möchten und zumindest zum Ausruhen animiert.
Die Etablierung der Mit- und Selbstbestimmungsrechte der Kinder ist in unserer Kita ein Prozess, der aktuell noch andauert. Wir befinden uns in der Phase des Ausprobierens, wie wir die erarbeiteten Rechte am besten umsetzen können. Bisher sind wir sehr zufrieden, wie die Kinder mit ihren Rechten umgehen und sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen.
Wir stellen schon jetzt fest, dass die Kinder sich auf diese Art im Bereich Selbstbewusstsein und Sozialkompetenz deutlich weiterentwickelt haben.
Das Team der Kita am Wald
pragma gmbh bochum . know-how für kitas