Schritte in Richtung Normalität: Präsenzunterricht in den Schulen ab 31. Mai und Normalbetreuung in den Kitas ab 7. Juni – Und ein Blick auf die Chancengleichheit!

Die Inzidenzzahlen sinken. „Am Sonntag meldete das Robert-Koch-Institut für NRW eine landesweite Sieben-Rage-Inzidenz von 40,1 gerechnet auf 100.000 Einwohner. In der letzten Aprilwoche hatte der Wert noch bei 186,8 gelegen. Bundesweit war die Sieben-Tage-Inzidenz am Sonntag mit 35,2 noch etwas günstiger als in NRW.

Unter den 53 Kreisen und kreisfreien Städten in NRW hielt Hagen den höchsten Wert und lag als einzige Kommune noch über der 80er-Marke (82,1). Am unteren Ende der Skala liegen der Kreis Coesfeld( 16,3) und (die Stadt) Münster (15,2). Laut Gesundheitsministerium waren die beiden am Wochenende weiter die einzigen Orte in NRW, die bereits in der günstigen Inzidenzstufe 1 (höchstens 35,0 angekommen sind.“ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung [WAZ] 31.05.2021, Seite 1)

Schulen und Kitas
Insofern geht es seit gestern (31.5.) für „rund 2,5 Millionen Schüler und Schülerinnen in NRW in den Präsenzunterricht zurück… Bei vielen Schülern herrsche Vorfreude auf die Rückkehr in die Schulen, sagt Landesschülervertreter Timon Nikolaou. `Einige haben aber auch ein mulmiges Gefühl, weil es in voller Klassenstärke zurückgeht.´ Er erinnert daran, dass die psychischen Belastungen für Kinder und Jugendliche in der Pandemie groß seien. In den Schulen dürfe es deshalb nun nicht um Leistungsbewertungen gehen. `Im Fokus muss die seelische Gesundheit stehen.´“ (Ebd., Seite 2)
n den Kitas n NRW geht es 1 Woche später – am 7. Juni – wieder in die Normalbetreuung. NRW-Familienminister Stamp in einem Informationsbrief vom 26.05.2021 an Eltern, Träger, Leitungen und Personal: „Im Regelbetrieb sind die rechtlichen Regelungen des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII) und des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) wieder uneingeschränkt gültig, d.h. alle Kinder haben einen uneingeschränkten Betreuungsanspruch im vertraglich vereinbarten Betreuungsumfang, pädagogische Konzepte können vollumfänglich umgesetzt werden, die verbindliche Gruppentrennung ist aufgehoben. Es gelten weiterhin die Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen der Coronabetreuungsverordnung. Das freiwillige Testangebot für Kinder und Beschäftigte sowie Kindertagespflegepersonen wird fortgesetzt.“

Und die nächsten Wochen…
Die starke Absenkung der Inzidenzwerte in den letzten 5 Wochen (siehe oben) legt nahe, dass die deutliche Einschränkung von Kontakten, die Vielzahl von Testungen und die weitere Umsetzung von Hygieneregeln im Großen und Ganzen richtig waren, auch wenn wir (leider) nach wie vor die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen nur sehr bedingt nachvollziehen und bewerten können. Mit Blick auf die aktuell niedrigen Inzidenzzahlen in Verbindung mit den Fortschritten beim Impfen – auch wenn es weiterhin Engpässe bei der Bereitstellung von Impfstoffen gibt – ist es nicht unrealistisch, dass wir ganz gut durch die nächsten Wochen, durch den Sommer kommen und im Herbst die Pandemie auf dem Rückzug ist?!?
Mittlerweile hat die EU-Arzneimittelbehörde den Impfstoff von Biontech/Pfizer für Kinder ab zwölf Jahren freigegeben. Die Landesregierung, die die Impfpriorisierung zum 7. Juni aufgehoben hat, hat den „Kreis der Impfberechtigten um Schüler“ (WAZ 29.05.2021, Seite 1) erweitert. „Dafür spricht, dass mit der Immunisierung der Jugendlichen früher die sogenannte Herdenimmunität erreicht werden könnte: Wenn sehr viele Menschen geimpft sind, kann sich der Virus nicht mehr ausbreiten. Dagegen spricht, dass das Risiko für die Jüngsten, schwer an Covid-19 zu erkranken, kleiner ist als bei Älteren. Anders gesagt: der individuelle Nutzen des jungen Geimpften ist geringer als bei Erwachsenen. `Die Impfkampagne für Kinder und Jugendliche hat vor allem ein soziales Ziel: Sie soll ein Dienst an der Gesellschaft sein, weil Herdenimmunität ohne die Jüngeren schwer zu erreichen ist´, sagt Michael Aschenbach [Sprecher des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte für Westfalen-Lippe]. Wenn man Kinder impfe, obwohl ihr Risiko, schwer zu erkranken, klein sei, dann müsse der Impfstoff besonders sicher sein.“ (Ebd. 26.05.2021, Rhein-Ruhr). Dem ist zuzustimmen. Und mit etwas Glück – z.B. keine neuen Mutanten, gegen die die aktuellen Impfstoffe nicht helfen – treten wir jetzt in die Phase ein, an deren Ende wir die Pandemie besiegt / eingedämmt haben!?!

Blick in die Zukunft
Nach der Pandemie ist das Leben wieder wie vor der Pandemie?!? Davon sollten wir nicht ausgehen und ich halte das auch nicht für wünschenswert! Hierzu mit Blick auf Kitas und Schulen einige Überlegungen.

Emotionale Not, soziale Benachteiligung, Lernrückstände: Kinder und Jugendliche hatten in der Pandemie keine gute Lobby. Erst in den letzten drei Monaten ist in der Medienöffentlichkeit Thema geworden, dass die Pandemie „(e)in absolutes Ausnahmejahr“ (WAZ 22.05.2021, Rhein-Ruhr) für die junge Generation bedeutet (hat). Kinder- und Jugendärzte „berichten von Kindern und Jugendlichen mit emotionalen Störungen, von Depressionen und von Jugendlichen, die sich selbst verletzen…. Darüber hinaus wurden bei „den Schuleingangsuntersuchungen in Bottrop und Essen… im Vergleich zum Vorjahr häufiger Übergewicht und motorische Schwierigkeiten festgestellt.“ (Ebd. – siehe hierzu auch unseren Blog vom 23.03.2021 Einsamkeit) Dazu kommt, dass die Gewalt gegen Kinder im letzten Jahr stark zugenommen hat. „Die Zahl der Misshandlungen Schutzbefohlener stieg 2020 um zehn Prozent auf 4918 Fälle, bei Kindesmissbrauch stieg sie demnach um 6,8 Prozent auf 14.500 Fälle. Um mehr als 50 Prozent wuchs die Zahl erfasster Fälle von Kinderpornografie auf 18.761… Auch der Deutsche Kinderschutzbund zeigt sich angesichts des deutlichen Anstiegs der Fallzahlen besorgt. `Bei den Fällen von Kindesmisshandlung ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer sogar noch weitaus höher gestiegen ist. Denn die Fremdmelder (=Lehrer*innen, pädagogishe Fachkräfte etc. M.S.), die sonst 65 Prozent der Fälle an die Jugendämter melden, sind während der Corona-Pandemie in ihrer Wächterfunktion ausgefallen´, sagte Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes“ (Ebd. 27.05.2021). Dazu kommt, dass mindestens ein Viertel der Schülerinnen und Schüler (mehr als) deutliche schulische Lernrückstände haben. Dies betrifft vor allem Kinder aus benachteiligten Familien und Migrationsfamilien, in denen deutsch nicht als Muttersprache gesprochen wird. Die Zuspitzung und Dramatik unterstreichen „erstmals für ein ganzen Jahr ausgewiesene Daten der Bundesagentur für Arbeit (zur Bildung und Teilhabe). Demnach haben im Pandemie-Jahr 2020 nur 11.1 Prozent der Berechtigten (= Kinder von Hartz 4-Empfänger*innen, M.S.) eine Lernförderung bekommen und nur 14.7 Prozent eine Unterstützung zur Teilhabe am sozialen oder kulturellen Lleben.“ (WAZ 28.05.2021) Die Bundesregierung hat sich in diesem Zusammenhang mit den Ländern auf ein sogenanntes Nachholprogramm verständigt (Blog vom 7.3.2021). Mit Blick auf die angesprochenen psychischen Probleme einer großen Zahl Heranwachsender, die Zunahme der Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche sowie die umfangreichen Lernrückstände von Schülerinnen und Schülern wird dann in ein bis zwei Jahren nachzuhalten (zu evaluieren) sein, ob deren Identifikation, deren Begleitung und Förderung sowie die Aufarbeitung und Beseitigung psychsicher Probleme und Lernrückstände gelingt bzw. erfolgreich war. Mit Blick auf die Wartelisten bei Kinder- und Jugendpsychologen, die bürokratisch-schwerfällige und aufwendige Bewilligung von Maßnahmen zu Bildung und Teilhabe sowie der dürftigen Ausstattung des Nachholprogramms sind diesbezüglich mehr als Zweifel angebracht.

Mehr Chancengleichheit:
„Von den Jugendlichen aus der größten Bevölkerungsgruppe, den Familien in denen Eltern über eine berufliche Ausbildung verfügen, gelangt nur ein Viertel an eine Hochschule. Bei Jugendlichen aus Familien, in denen ein Elternteil oder beide einen Hochschulabschluss haben, liegt dieser Anteil mehr als 3-mal so hoch, bei 79%.“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung. Bildung in Deutschland 2018) Diese strukturelle Benachteiligung spiegelt sich auch in den oben genannten Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Um nach der Pandemie nicht wieder da zu landen, wo wir vor der Pandemie standen, ist hier deutlicher Handlungsbedarf angesagt – und zwar in mehrerlei Hinsicht. Einerseits geht es um die deutliche Verbesserung der Ausstattung der Schulen in puncto Digitalität. Das ist in den letzten 12 Monaten mehr als deutlich geworden. Hier sind entsprechende Programme aufgelegt worden, deren vollständige Umsetzung aber eine zeitlang in Anspruch nehmen wird. So hat die Stadt Bochum einen „Medienentwicklungsplan“ (WAZ 30.4.2021, Bochum) beschlossen: „Mit Millionen-Investitionen will die Stadt bis zum Schuljahr 2024/25 den digitalen Ausbau an den Schulen vorantreiben.“ Das ist nicht schnell, aber zumindest stimmt die Richtung. Auf die in Zukunft auch in den Kitas zunehmende Bedeutung der Digitalsierung sei an dieser Stelle nur verwiesen. Ausführlich hierzu unser Blog vom 31.05.2021 zur Nutzung digitaler Medien in der Kita. Die Umsetzung solcher Konzepte gelingt, wenn die Fachkräfte in den Kitas und die Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen in den Schulen sich mit diesen identifizieren und sich diese zu eigen machen. Sie sind das Nadelöhr. Sie stellen „gute Arbeit“ her, Tag für Tag in der Lernbegleitung und Unterstützung der Kinder bzw. Schülerinnen und Schüler, der Kooperation mit den Eltern und der Zusammenarbeit in den Teams bzw. Kollegien. – Mit Blick hierauf hat die Pandemie deutlich gemacht, dass die personellen Rahmenbedingungen in den Kitas, den Schulen und ganz extrem im offenen Ganztag (OGS – Blog vom 14.9.2020: Chaos im Offenen Ganztag) nach wie vor unzureichend sind. NRW hat die bundesweit schlechteste Relation von Lehrer*innen zu Schüler*innen, seit vielen Jahren werden angemessene Personalschlüssel für die Kitas – übrigens auch von der Politik: siehe Bund-Länder-Konferenz „Frühe Bildung fördern und finanziell absichern“ (2016) –  gefordert (Blog vom 25.2.2018: Bessere Betreuer-Kind-Relationen als Schlüssel zu mehr Qualität und Bildungsgerechtigkeit). Hier gilt es anzusetzen. Die Corona-Pandemie hat durch die zusätzlichen Anforderungen und Belastungen die unzureichende Personalausstattung in Kitas und Schulen, von denen sich viele seit über einem Jahr im Dauerkrisenmodus befinden, mehr als sichtbar gemacht. Sonst hätte es keiner Alltagshelfer*innen bedurft (Blog vom 14.11.2020). Die Bundestagswahlen im  September, aber noch mehr – aufgrund der Bildungshoheit der Länder – die Landtagswahlen in NRW im kommenden Frühjahr sollten genutzt werden, um einen Masterplan für die Chancengleichheit von den Parteien einzufordern. Das heißt: deutlich mehr Geld und Personal für Bildung und Chancengleichheit – beispielhaft als Masterplan für die Kitas im Blog vom 3.6.2018 schon mal durchkalkuliert. Das benötigte Geld ist in einem der reichsten Länder auf diesem Planeten vorhanden. Corona hat das verdeutlicht!