Wo stehen wir im Moment? Wie geht es weiter?

Mein Eindruck ist, dass die Gesamtlage in den letzten Tagen deutlich unübersichtlicher geworden ist. Dies hat damit zu tun, dass mit den in der letzten Woche beschlossenen Lockerungsmaßnahmen deutlich mehr zu regeln ist als in den letzten Wochen. Alles zu verbieten ist einfacher als differenziert zu steuern...!!! Das erkennt man beispielsweise daran, wie unterschiedlich die Öffnung der Geschäfte in den einzelnen Bundesländern gehandhabt wird; daran, wie unterschiedlich die Verpflichtung zum Tragen von Schutzmasken, zumindest beim Einkaufen und im ÖVNP, in einzelnen Bundesländern bis heute diskutiert wurde, bevor sie jetzt bundesweit verbindlich, wenn auch weiterhin mit Unterschieden und nicht überall zum gleichen Zeitpunkt, vorgeschrieben wird; auch daran wie viele Fragen die schrittweise Öffnung der Schulen ab dem 5. Mai aufwirft. Hier ist NRW dann nochmal deutlich vorgeprescht. Ab dem 23.4. sollen die Abschlussklassen wieder antreten.

Dabei sind die Kitas in den letzten Tagen in der öffentlichen Diskussion etwas in den Hintergrund geraten. Bisher haben weniger als fünf Prozent der 3,7 Millionen Kinder, die in die Kita gehen, die Notbetreuung in Anspruch genommen. Die Notbetreuung soll ausgebaut werden. In NRW werden zum 23.4. die Berufsgruppen bzw. die Tätigkeitsbereiche erweitert, für die die Notbetreuung in Anspruch genommen werden darf. Die aktualisierte Tätigkeitsliste finden Sie hier. Ab der kommenden Woche, also ab dem 27.4. dürfen dann auch Alleinerziehende ihr Kind bzw. ihre Kinder wieder in die Kita bringen. Ebenfalls dürfen ab sofort auch Kinder wieder kommen, die im häuslichen Umfeld gefährdet sind. „NRW strebt an, zehn Prozent der Kinder in der Notbetreuung zu versorgen.“ (so die WAZ vom 17..4.2020, Seite `Politik´, bezugnehmend auf Aussagen von NRW-FamilienminiserJoachim Stamp) – Bundesfamilienministerin Giffey und ihre Länderkolleg*innen wollen dann am 3. Mai in einer Telefonkonferenz darüber beraten, wie es in den Kitas weitergehen soll. Laut Ministerin Giffey „ist es so wichtig, konkrete Pläne zu entwickeln, wie es für die Familien vor allem mit den kleinen Kindern auch vor dem Sommer gut weitergehen kann.“ (Ebd.)

Die Kitas sind in der sechsten Woche geschlossen. Die Kinder müssen auf die Kita, andere Kinder, gemeinsame Spiele und Aktivitäten, ihnen vertraute Bezugspersonen verzichten. Viele Familien sind mit der 7-Tage-Betreuung zuhause Situation überfordert, vor allem wenn die Betreuung der eigenen Kinder auch noch mit Home Office kombiniert werden muss. Deswegen ist wichtig, umsetzbare Konzepte auf den Weg zu bringen, die zu einer deutlichen Verbesserung der Situation für die Kinder und deren Eltern führen, gleichzeitig aber das Risiko kleinhalten, die Infektionsraten wieder unkontrollierbar hochzutreiben. Das ist in der Tat nicht einfach. Politik, Länder und Kommunen müssen in Absprache mit den Trägerverbänden der Kindertageseinrichtungen mindestens für folgende Probleme und widersprüchlichen Konstellationen Lösungsansätze und Konzepte finden:
1. Die sehr weitgehende Öffnung der Geschäfte und die Wiederaufnahme der Arbeit in vielen Betrieben lässt den Betreuungsbedarf der Eltern deutlich ansteigen. Dieser ist nur zu einem kleinen Teil über die Ausweitung der Tätigkeitsbereiche abgedeckt. Eine Deckelung der Notbetreuung bei zehn Prozent wird dem größten Teil der Kinder und ihren Eltern nicht gerecht.
2. Je kleiner die Kinder sind desto anspruchsvoller ist es, mit ihnen die erforderlichen Hygieneregeln umzusetzen. Dies wird um so schwieriger, je mehr Kinder die Kita besuchen und je größer die Gruppen werden. Das Land NRW will am Donnerstag (23.4.) hierzu einen Maßnahmekatalog vorlegen, der von den KItas eingehalten werden soll. Darauf darf man gespannt sein. Wenn die Ausweitung der Betreuung in den nächsten Wochen dem unter 1. angesprochenen Bedarf auch nur zum Teil angepasst wird, sind die empfohlenen (und bisher auch vielfach eingehaltenen) Gruppengrößen von maximal 5 Kindern unrealistisch. Das kann – neben der Tatsache, dass die Hygieneregeln mit kleinen Kindern nur bedingt umgesetzt werden können –  die Infektionsrisiken wieder deutlich ansteigen lassen. Dazu kommt, dass sich die Betreuungsbedarfe nicht gleichmäßig auf alle Kitas verteilen, sondern abhängig von der jeweiligen Elternschaft  gering und auch sehr hoch, deutlich überdurchschnittlich sein können.
3. Kinder, die in ihren Familien gefährdet sind, dürfen in die Notbetreuung kommen. Darauf ist oben schon hingewiesen worden. Aber mir sind bisher keinerlei konzeptionelle Überlegungen und Vorgaben  bekannt, wie die Fachkräfte in den Kitas, gg.falls in Zusammenarbeit mit Mitarbeiter*innen der Allgemeinen Sozialdienste und / oder von Erziehungs- und Familienberatungsstellen vorgehen und sicherstellen können, dass es einen kontinuierlichen Kontakt zu diesen Familien gibt und die Betreuung in der Kita dann auch realisiert wird. Hier scheint mir Vieles dem Zufall und engagierten EinzelInitiativen vor Ort überlassen zu werden. Hierauf und das Positionspapier der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung  haben wir im Blog vom 14.4. schon einmal hingewiesen. Angehängt auch noch die Hilfetelefonnummern „Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ der Bundesregierung für Erwachsene und für Kinder.

Es wird in den nächsten Wochen darum gehen, die kleinen Schritte in Richtung Normaliät so anzulegen, zu reflektieren und weiterzuentwickeln, dass die Infektionsgefahr kontrollierbar bleibt, die Familien deutlich entlastet werden sowie die Kinder die jeweils individuell benötigte Hilfe, Begleitung und Unterstützung in ausreichendem Maße bekommen. Dabei spielen die Kitas eine ganz wichtige Rolle. Damit dies auch nur ansatzweise gelingt, bedarf es der intensiven Kommunikation und Kooperation von Politik, Landesverwaltung und Kommunen auf der einen sowie den Träger- und Elternverbänden und den Akteuren in den Kitas vor Ort auf der anderen Seite. Dazu können wir mit diesem Blog einen kleinen Beitrag leisten. Ich freue mich, von Ihnen zu hören oder zu lesen (schrader@pragma-bo.de) und verbleibe mit guten Güßen aus Bochum

Michael Schrader.